Ich wollte das Nachtleben meiner neuen Heimat mal etwas besser kennenlernen. Ich hatte mitbekommen, dass es eine Szenebar gab und beschloss dann diese einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Aus London kannte ich viele solcher Bars. Ich war gespannt, wie es mir hier gefiel.

Ich hatte mich also etwas in Schale geworfen. Ich trug eine enge Jeans und ein Shirt, welches ebenso eng am Körper anlag. Die Haare hatte ich auch gestylt.

Ich betrat die Bar und ließ erst einmal einen Blick durch den Raum wandern. Der erste Eindruck war gut und so wagte ich mich weiter hinein. Ich beschloss an die Theke zu gehen und mir erstmal einen Drink zu bestellen. Als ich an der Theke ankam wurde gerade einer der Barhocker frei, welchen ich dann direkt in Beschlag nahm. Ich war gespannt, was der Abend wohl bringen würde.

17:23 und Chuck ließ die Kanzlei hinter sich. Ha, Trumpf! Er war sich sicher seit mindestens drei Wochen nicht mehr so früh aus der Kanzlei gekommen zu sein, aber heute hatte er es irgendwie geschafft, alles so früh abzuarbeiten. Zuhause stellte er sich erstmal unter die Dusche, schenkte sich im Anschluss ein Glas Wasser ein und lief durch die Wohnung. Die Hunde wuselten mit den Katzen durch den Gang, rannten ihn beinahe um. Nach kurzem Überlegen, ob er sich für den Abend vielleicht einfach aufs Bett schmeißen sollte, entschied er sich um. Von seinen Freunden hatte heute keiner Zeit, also wollte er seit ein paar Monaten mal wieder in der Gaybar vorbeischauen. Manchmal traf man da tatsächlich auf recht nette Leute. Für mehr als eine Nacht hatte sich trotzdem nie was ergeben. Bis jetzt zumindest.

Also zog er sich ein Hemd an, dessen Ärmel er locker aufkrempelte; eine Jeans folgte und nachdem er mit dem eigenen Spiegelbild zufrieden war, machte er sich auf den Weg. Ehrlich gesagt achtete Chuck in seiner Zeit außerhalb der Kanzlei und der Gerichtsäle gerne mal weniger darauf, super rausgeputzt zu sein – weil er das sowieso Tag für Tag sein musste. Aber nun gut, wenn man abends fortging und die Chance haben wollte, angesprochen zu werden oder jemanden anzusprechen ohne, dass der Reißaus nahm, kam man da wohl nicht drum herum.

Als er die Bar betrat, tümmelten sich schon jede Menge Leute dort, Männer hier, Männer da. Chuck sah sich um, beschloss dann aber, erstmal etwas zum Trinken zu holen und bahnte sich so den Weg zur Theke. Ohne zu sehen, wer da auf dem Barhocker saß, lehnte er sich über die Theke und rief dem Barkeeper durch die laute Musik zu: „Ein Bier, bitte!“ Der Barkeeper nickte, warf ihm noch einen zweiten Blick zu und machte sich dann daran, das Bier einzufüllen. Chuck lehnte sich daweil an die Theke, sah zum ersten Mal zu dem, der da neben ihm auf dem Barhocker saß. Oh. Überraschung! Den kannte er doch. „Patrick Rousso, richtig?“ Er schüttelte leicht den Kopf; schmunzelte wegen dem Zufall. „Ich hätte nicht gedacht, hier auf Sie zu treffen.“

Ich hatte mir gerade einen Cocktail bestellt als sich ein weiterer Gast an die Theke gesellte. Damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet. Chuck, der Anwalt. Gerade ihn hier in der Gaybar zu treffen überraschte mich wirklich sehr. Sicher, ich persönlich fand ihn verdammt attraktiv, aber es hätte ja sein können, dass er trotzdem heterosexuell war. Aber scheinbar war er es nicht.

Als Chuck mich ansprach formte sich sofort ein Lächeln auf meinen Lippen. "Ja, Patrick Rousso." bestätigte ich nickend. "Und Chuck Lawson der Anwalt. Ich hätte ehrlich gesagt auch nie im Leben damit gerechnet, gerade sie in so einer Bar zu treffen." gab ich zu. "So kann man sich täuschen." Ich freute mich natürlich ihn hier anzutreffen. Da war die Frage, ob er heterosexuell war ja schonmal vom Tisch.

Ihr erstes Mal hatten sie sich in der Kanzlei getroffen. Chuck, der Anwalt und Patrick, der Eventmanager. Eigentlich war Chuck wirklich davon ausgegangen, den anderen erst dann wieder zu sehen, wenn er alles für die Jubiläumsfeier der Kanzlei vorbereitet hatte, aber so spielte das Schicksal; mit gezinkten Karten.

Gerade Sie. „Wieso das?“, fasste Chuck die Worte des anderen auf und musterte ihn eingehend, wenngleich seine Miene kein bisschen Unfreundlichkeit verriet, nur Neugier. Die Antwort interessierte ihn einfach. Ein dankbares Lächeln schlich sich auf seine Züge, als der Barkeeper ihm das Bier über die Theke entgegen schob. Er nahm es entgegen, prostete Patrick angedeutet zu und trank einen Schluck. „Und, sind Sie schon weitergekommen? Mit den Aufträgen?“ Klar, über die Arbeit sprechen, das war nicht wirklich ein Thema für eine Bar. Aber noch wusste Chuck nicht wirklich was er davon halten sollte, dass der Eventmanager seines Vaters in einer Gaybar war – in derselben wie er – und dass er ihn auch noch attraktiv fand, der andere so enganliegende Klamotten trug. Das verhieß nichts Gutes.

Ich hatte dann auch meinen Cocktail bekommen. "Ich weiß nicht. Sie, der ernste, seriöse Anwalt aus so einer großen bekannten Kanzlei. Da hab ich irgendwie nicht damit gerechnet, dass sie in so einer Bar auftauchen und homosexuell sein könnten." gab ich zu. "Aber so schnell kann man sich täuschen." Ich prostete Chuck ebenfalls zu und trank dann etwas.

Chuck fragte mich, wie weit ich mit den Aufträgen schon gekommen war. "Ich bin schon recht gut vorangekommen. Ich hab mit dem Restaurant in der Nähe der Kanzlei gesprochen. Die senden mir ein Angebot und dann habe ich noch drei ähnliche Locations. Zwei senden mir ebenfalls Angebote und beim dritten warte ich noch auf eine Rückantwort." erzählte ich kurz gefasst, was sich bisher getan hatte. Ich hatte mich zwar auch schon mit den Band befasst, aber ich war ja nicht hier, um über die Arbeit zu sprechen.

Chuck hätte genau das auf die Worte Patricks erwidert, was dieser dann selbst zum wiederholten Male aussprach: So kann man sich täuschen. Und wie. Dass der andere ihn als seriös bezeichnet hatte, hatte dem Anwalt jedoch ein Schmunzeln auf die Lippen getrieben, das auch nicht wich, als sie sich einem anderen Thema zuwandten: Arbeit. „Das klingt gut“, erwiderte Chuck, zugegebenermaßen ein bisschen überrascht, dass Patrick so schnell so weit gekommen war. Sein Vater war bestimmt zufrieden mit ihm und wenn Patrick Glück hatte, dann würde er auch noch für weitere Events der Kanzlei Aufträge bekommen.

Aber eine Frage bezüglich der Arbeit reichte, fand Chuck. Also trank er noch einen Schluck von seinem Bier und beschloss, mit seinen Fragen von jetzt an in eine andere Richtung abzuzielen. „Und Patrick … Rousso-“ Irgendwie konnte er sich nicht ganz entscheiden, wie er den anderen ansprechen sollte. 'Du' zu ihm zu sagen kam ihm einerseits falsch vor, weil sie eigentlich nur ein geschäftliches Verhältnis miteinander pflegen sollten, aber andererseits kam 'Sie' in einer Bar auch merkwürdig. Egal. „Sind Sie öfters hier?“

"Ich werde mich reinhängen, dass wir das alles so schnell wie möglich geklärt bekommen." meinte ich noch zum Thema Arbeit, aber dann war es auch genug mit dem Thema. Ich war ja nicht zum Arbeiten hier.

Ich sah Chuck an und lauschte dem was er sprach oder besser gesagt fragte. Leicht schüttelte ich den Kopf. "Nein, hier in der Bar war ich noch nie. Ich bin grad noch dabei das Nachtleben hier etwas zu erkunden. Ich bin noch nicht wirklich lange hier in Newcastle." berichtete ich ihm und trank dann einen Schluck. "Und du? Also...ähm sie." Dieses Du war mir irgendwie ziemlich automatisch herausgerutscht. Die Atmosphäre hier war so locker, um Welten lockerer als in der Kanzlei, da war es einfach so passiert. Ich überspielte das Ganze einfach mit einem Schmunzeln und indem ich noch einen kleinen Schluck von meinem Cocktail trank.

Patricks Antwort ließ seine Augenbrauen für einen kleinen Moment überrascht in die Höhe eilen. "Achso - wenn das so ist, gibt es noch die ein oder andere Bar; ob Szene oder normal, die ich Ihnen ans Herz legen könnte. Clubs natürlich ebenso, wenn sie mal tanzen gehen wollen." Er musterte den anderen abermals und lächelte, als dieser sich ausbesserte, weil ihm ein 'Du' über die Lippen geglitten war, statt dem 'Sie'.

Chuck winkte ab. Was in dieser Bar passierte, blieb auch in der Bar - oder so ähnlich. Ausnahmesituation. "Ich war schon seit ein paar Wochen nicht mehr hier. Monate sogar; ich hatte mit der Kanzlei zu viel um die Ohren." Der Barhocker neben Patrick wurde frei und Chuck beschlagnahmte ihn sofort. "Und wo kommst du ursprünglich her?" Einfach beim Du bleiben. Ganz unverblümt.

"Da lasse ich mir gerne ein paar Tipps geben." sagte ich lächelnd als Chuck von Clubs und Bars sprach, die er mir ans Herz legen würde. Mit einem Lächeln sah ich mein Gegenüber an, der sich auf den frei gewordenen Barhocker setzte.

"Dann wurde es ja mal Zeit, dass du einen freien Abend genießt, hm?" fragte ich. "Geboren bin ich in Palermo, aber größtenteils aufgewachsen bin ich in London. Da habe ich auch bis vor Kurzem gelebt." beantwortete ich Chucks Frage. "Und du? Kommst du von hier?" stellte ich die Gegenfrage.