Er hasste es. Nicht das Modeln selbst, sondern die Prozedur, die er über sich ergehen lassen musste, bis es so weit war. Meistens dauerte das Herrichten länger als das Shooting selbst, aber da konnte man nichts machen. Schliesslich bekam er gutes Geld dafür regelmässig vor der Kamera zu stehen und es war ein netter Zeitvertreib. Tausend mal besser, als zu Hause vor dem Fernseher rumzulungern und sich lächerliche TV Serien reinzuziehen. Eigentlich brauchte Nero nicht zu arbeiten. Sein Vater besass Geld bis zum abwinken und scheute sich nicht davor dieses auszugeben. Trotzdem wollte der Braunhaarige sein eigenes Leben haben und seine Ziele verwirklichen ohne, dass sein Vater die Finger im Spiel hatte. Er wollte nicht mit den anderen Reichen in einen Topf geschmissen werden. Diese Einstellung hatte Nero bereits als kleines Kind besessen und es stolz vertreten. Seine Augen wanderten zur Uhr. Wann würde das Shooting endlich beginnen? Er wollte das wichtige Basketballspiel, welches heute durchgeführt wurde nicht verpassen, spielte doch seine Lieblingsmannschaft.

Ich hab wirklich keine Ahnung, wie ich das hinbekommen habe. In so kurzer Zeit an ein Fotoshooting zu kommen, meine ich. Als ich in dem Studio ankomme hätte ich wirklich Luftsprünge machen können, denn die Kleider sind einfach soo schön. Es kommt oft genug vor, dass ich Fotos in sehr.. sagen wir speziellen Kleidern machen muss, die mir nicht wirklich gut gefallen, wobei das Ergebnis dann meistens doch ziemlich gut aussieht. Bis ich mit schminken, anziehen und allem fertig bin, ist schon einige Zeit vergangen und ich kann es kaum erwarten endlich die Fotos zu machen. Vor allem da ich heute noch mit einem anderen Jungen shooten soll und in den meisten Fällen ist das sogar noch viel witziger. Naja, je nach dem wie der Partner ist jedenfalls. Als ich dann fertig bin und den Raum betrete, wo die Fotos gemacht werden, fällt mir der Junge mit dem ich shooten soll sofort auf, weshalb ich mit einem Lächeln auf ihn zugehe: "Hi, ich bin Joyce.", stelle ich mich selbst vor und halte ihm meine Hand hin. Irgendwoher kenne ich ihn, oder? Jedenfalls sieht er so aus wie jemand, den ich kenne, nur weiß ich leider nicht wie wer..

Nero blätterte gelangweilt in einer Sportzeitschrift herum und legte diese beiseite, als die Stimme einer jungen Frau erklang. Er sah auf, entdeckte das Lächeln, welches auf ihren Lippen lag und empfand sie als sehr sympathisch. Die meisten Models waren irgendwelche Zicken, die dauernd etwas zu meckern hatte und denen man nichts recht machen konnte. Sie hier schien anders zu sein. Zumindest begrüsste die Unbekannte ihn, was ihr schon mal einen Pluspunkt verschaffte. Neros schlechte Laune verflog sofort. ,, Nero.‘‘ Der Braunhaarige schüttelte ihre Hand und musterte sie von Kopf bis Fuss. Sie war hübsch und würde neben ihm eine gute Figur machen. Der Fotograf hatte bei der Auswahl seiner Models mitgedacht. Gut zu wissen. ,, Du bist noch nicht lange dabei?‘‘, hackte der 19 Jährige neugierig nach. Er würde sie kennen, wenn sie seit Jahren in diesem Berufsfeld arbeitete. Nero kannte jedes Model das regelmässig einen Fuss in dieses Studio setzte, aber sie war ihm entgangen. Er hoffte nur, dass er sie nicht übersehen hätte, denn sonst würde es ziemlich peinlich für ihn werden.

"Nero." Nero, echt jetzt? Das ist.. komisch. Bevor ich nach Wawrick ziehen musste, kannte ich einen Nero, aber das konnte er unmöglich sein oder? Nein, bestimmt nicht. Vermutlich gab es hier mehr als nur einen Nero und sonst hätte ihm bei meinem Namen ja auch etwas auffallen müssen. Glaub ich. Jedenfalls erwiederte er mein Lächeln und fragte mich, ob ich neu war, oder schon länger hier war. "Ich model schon etwas länger, aber nein, hier war ich noch nicht, ich wohne auch gar nicht hier. Aber ich hab vor einigen Jahren mal hier gelebt und wollte nochmal herkommen." Eigentlich wollte ich hier ja nur Urlaub machen, aber vermutlich würde der doch etwas länger anhalten, denn bis jetzt gefiel es mir sehr gut, wieder hier zu sein. "Und modelst du schon lange?"

Nero legte seine Finger um sein Kinn. In seinem Kopf ratterte es, aber er kam nicht dahinter, was es mit ihrem Namen auf sich hatte. Joyce. Wie viele Frauen wohl so benannt wurden? Er könnte sie genauso gut verwechselt haben. ,, Wo hast du den vorher gelebt?‘‘ Der Braunhaarige zwang Joyce nicht dazu ihm, zu antworten. Es war ihr Privatleben und meistens erzählte man nur ungerne einem Fremden, wo man vorher gelebt hatte. Aber egal. Das Gespräch war nur gedacht um die Zeit zu überbrücken, die der Fotograf noch brauchen würde, bis er startklar war. ,, Seit ungefähr zwei Jahren, aber damals noch nicht so regelmässig, weil das Basketballtraining sehr viel Zeit beansprucht hat.‘‘ Er besass nicht allzu viel Erfahrung wusste, aber dennoch welche Posen gefragt waren und hatte keine Probleme damit vor der Kamera in eine andere Rolle zu schlüpfen. ,, Was ist eigentlich heute das Thema?‘‘ Nero hatte sich noch gar nicht darüber informiert.

"Ehm also, geboren wurde ich hier, bin aber mit 12 Jahren nach Warwick umgezogen, also vor 6 Jahren." Kaum zu glauben, dass das schon so lange her war, wobei.. so lang sind 6 Jahre auch nicht. Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen und fragte mich, wann wir anfangen würden. Vermutlich würde es nicht mehr allzu lange dauern, denn alles schien fertig aufgebaut zu sein. Bei Neros Antwort, wie lange er schon modelte, nickte ich und lächelte. Zwei Jahre waren ein wenig länger als ich schon modelte, aber ich machte mir keine Sorgen darüber, ob er deswegen erfahrener war als ich. "Was genau das Thema ist, weiß ich ehrlich gesagt gar nicht, die Frau, die mich geschminkt hat, hat mir nur gesagt dass es irgendwas mit farbigem Mehl ist." Und ich freute mich wahnsinnig auf dieses Mehl. Zwar hatte ich noch nie bei einem Fotoshooting mit solchem gearbeitet, doch auf Fotos sah es immer wahnsinnig gut aus und ich stellte es mir auch ziemlich witzig vor.

Wawrick? Nero hoffte, dass er sich nicht verhört hatte, denn sonst würde es peinlich für ihn werden. Er kannte ein Mädchen, das vor sechs Jahren dorthin verschwunden war und sich seither nicht mehr blicken hatte lassen. Aber das konnte nicht sein. Nein, die Welt war zu gross und wie bereits erwähnt, gab es mehrere Frauen mit diesem Namen. Es wäre pures Glück, wenn es sich tatsächlich um diese Joyce handeln sollte. ,, Ich kannte ein Mädchen, das vor sechs Jahren dorthin gezogen ist. Zufälle gibt’s.‘‘, lachte er leise vor sich hin und versuchte so seine Verwirrung zu überspielen. Er mochte es nicht vor anderen schwach auszusehen und setzte in solchen Momenten eine Maske auf sein Gesicht, um seine wahren Gefühle zu verbergen. ,, Mehl? Hört sich interessant an.‘‘ Das gäbe eine riesen Sauerei. Er würde sich danach sofort unter die Dusche stellen müssen, um dieses Pulver aus seinen Haaren rauszubringen. Wie gut, das die Sauerei das Reinigungsteam beseitigen durfte. ,, Da fühlt man sich gleich in alte Zeiten zurück versetzt.‘‘ Eine Mehlschlacht klang nach Spass. Nero erinnerte sich daran, dass er als Kind oft solchen Unfug getrieben hatte.

"Ich kannte ein Mädchen, das vor sechs Jahren dorthin gezogen ist. Zufälle gibt’s." Bestimmt meint er mich und weiß es nicht, haha. Nein, Moment. Das könnte wirklich ich sein. Oh Gott, das kann nicht nur ich sein, das bin ich! Jetzt fällt mir nämlich auch ein, woher ich den Namen Nero kenne. Früher, als ich noch in Newcastle gelebt habe, gab es nämlich diesen Nero, der bei mir in der Nähe wohnte und mit dem ich mich sehr gut verstanden habe. "Ich ehm..glaube das bin ich. Ich bins, Joyce Evans. Wir haben uns früher so gut wie jeden Tag gesehen und die verrücktesten Sachen angestellt, bevor.. naja." Bevor meine Eltern diesen Auto unfall hatten und weg mussten. Er weiß vermutlich was ich keine, kein Grund die ganze Geschichte wieder von neu aufzurollen. Jetzt, wo ich weiß, wer da vor mir steht, denke ich auf einmal ganz anders über das bevorstehende Fotoshooting: ich hoffe es geht schnell vorüber. Es ist mir nämlich wahnsinnig peinlich, dass ich Nero nicht erkannt habe und jetzt mit dem Jungen, in den ich früher ziemlich verschossen gewesen war, Fotos machen soll. Sein Kommentar, dass man sich gleich zurück in die alten Zeitenversetzt fühlt, pass wirklich, ich fühle mich gerade nämlich wirklich wie die kleine, zwölfjährige Joyce.

Ein Scherz! Es konnte sich nur um einen Scherz handeln. Nein, natürlich nicht! Es war die reine Wahrheit und tief in seinem Inneren spürte Nero ganz genau, dass es sich um die Joyce handelte, die er von früher kannte. Er blieb stumm und suchte nach den richtigen Worten um die Situation zu entschärfen, aber er fand keine. Sie war angespannt, fühlte sich sichtlich unwohl und ihm ging es genauso. Was sollte er tun? Abhauen? Nein, er war kein Mann, der vor Problemen weglief. ,, Ich dachte, ich seh dich nie wieder.‘‘ Seine Augen lagen auf ihrem Gesicht und musterten sie erneu. Jetzt fielen ihm die Gesichtszüge auf, die ihm so bekannt waren. Sie hatte sich verändert und war gewachsen, aber wenn man genauer hinsah, erkannte man sie sofort. Wieso war ihm das nicht schon vorher aufgefallen? ,, Es war ein ziemlicher Schock für mich als du einfach-‘‘, verstummte er. Es brachte nichts ihr das, zu erzählen. Ganz offensichtlich war es ihr unangenehm daran erinnert zu werden und Nero würde das akzeptieren. Er wollte keine alten Wunden aufreissen und Salz reinstreuen. ,, Lassen wir das Thema ruhen.‘‘

Sofort nachdem ich ihm gesagt habe wer ich bin, scheint Nero klar zu werden, wer genau ich bin, denn sein Gesichtsausdruck verändert sich schlagartig. " Ich dachte, ich seh dich nie wieder." Ich nicke, etwas in Gedanken versunken, ehe ich Nero wieder anschaue: "Ich ehrlich gesagt auch.", gebe ich zu und zwinge mich dazu zu lächeln. Warum ist mir nicht sofort aufgefallen, wer er ist? Er hat sich zwar verändert, aber jetzt wo ich ihn genauer mustere, sehe ich genau die Gesichtszüge von dem Jungen, den ich bis vor sechs Jahren gekannt habe. "Es war ein ziemlicher Schock für mich als du einfach-" Glücklicherweise schlägt Nero kurz danach vor, das Thema einfach ruhen zu lassen, wofür ich ihm ziemlich dankbar war. Erstens hatte ich in den letzten Tagen schon oft genug über das Thema reden müssen und zweitens wusste ich ohnehin nicht, was ich antworten sollte. Für die meisten war die ganz Sache ein Schock gewesen, zumindest für die die mich kannten und mit denen ich mich gut verstand. Ein Themawechsel kam mir also wirklich recht. "Kaum zu glauben, dass wir beide heute modeln." Als Kind hätte ich mir niemals vorstellen können, irgendwann wirklich mal als Model zu arbeiten - und vor allem hätte ich nie gedacht, dass Modeln ein Beruf für Nero wäre.

Er lachte bei ihren Worten. ,, Dich wohl eher als mich.‘‘ Eigentlich hätte Nero in den Vorstand der Bank seines Vaters treten sollen, aber dazu fühlte er sich noch nicht bereit. Ihm fehlte es an Wissen und vor allem an Disziplin, denn diese Meetings mit Kunden waren stinklangweilig. Was wollte er da? Däumchen drehen? ,, Immer noch besser als im Chefsessel zu hocken und die Verantwortung für eine Bank zu tragen.‘‘ In ein paar Jahren würde er die Bank seines Vaters übernehmen, aber bis dahin hatte er noch Zeit sich auszutoben und sein Leben zu geniessen. Das Modeln war für ihn ein netter Zeitvertreib, bei dem man Leute kennenlernte und sich von der Schokoladenseite zeigte. ,, Ganz ehrlich? Als Kellner könnte man mich noch weniger vorstellen.‘‘ Wobei – Das Café in welchem er arbeiten würde, hätte mit ihm als Kellner garantiert einen guten Umsatz. All seine Freunde würden sich dorthin begeben und das Café nur wegen ihm belagern. Halt! Von welchen Freunden sprach er eigentlich? Niemand hatte sich gemeldet, als er sich im Ausland befunden hatte, um Basketball zu trainieren. Nero knirschte mit den Zähnen. Da sah man mal wieder, wie schnell jemand vergessen wurde, wenn man ihn nicht täglich zu Gesicht bekam.