Was muss ich machen, kurz nachdem ich wieder in Newcastle bin? Genau, shoppen. In den 6 Jahren, die ich nicht mehr hier war, hat sich sogar echt was an der Innenstadt von Newcastle verändert. Es gibt viel mehr Klamottenläden, in denen man auch wirklich fündig wird, deshalb habe ich auch schon nach ein paar Stunden eine Menge Tüten über meinem rechten Arm hängen. Ich komme gerade aus der Umkleidekabine, als mein Blick an einem Mädchen hängenbleibt, welches eine Verkäuferin nach einer anderen Größe für ein Oberteil fragt. Da die Stimme mir irgendwie bekannt vorkommt, versuche ich einen Blick auf ihr Gesicht zu erhaschen und tadaa, es ist Olive. Olive und ich kennen uns seit wir im Kindergarten waren, allerdings hatten wir in letzter Zeit nicht mehr wirklich viel Kontakt zueinander. Das ändert jedoch nichts daran, dass ich freudig auf sie zurenne und sie stürmisch umarme. Endlich mal jemand, der nicht größer ist als ich. Danke, High Heels. Danke.
"Oliive.", begrüße ich sie und lasse sie nach ein paar Sekunden wieder los. Ein Glück ist das wirklich Olive, sonst hätte das peinlich werden können.

"Nein, M wird mir definitiv nicht passen. Das muss ich nicht erst testen!", sage ich vielleicht etwas zu respektlos zu der Verkäuferin. Wobei nein, die Dame ist respektlos mir nach der Bitte um eine kleine Größe zu sagen, dass mir dieses Teil vielleicht auch passen könnte und ich es doch bitte anprobieren sollte. Sehe ich etwa aus wie ein Walross? Danke, nein.
Doch bevor ich mich weiter aufregen kann, werde ich plötzlich von einer, auf den ersten Blick fremden, jungen Frau umarmt. Die Umarmung kam zu schnell und hörte auch schnell genug wieder auf, so dass ich die Fremde nicht von mir stoßen muss. "Oliive." Hilfe, sie kennt meinen Namen. Wobei, das ist wirklich nichts besonderes. Verwirrt schaue ich die Brünette an und es dauert tatsächlich einen kurzen Augenbick, bis ich sie erkenne. Und das ist mir ziemlich, ziemlich peinlich, schließlich kennen wir uns seit dem Kindergarten. "Joyce?", frage ich dann irritiert und zwinge mich zu lächeln. Ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen soll, dass sie wieder da ist oder.. halt eher nicht. Schließlich war sie bestimmt 6 Jahre weg und eigentlich habe ich seit dem auch nichts mehr von ihr gehört. Wirklich eine tolle Freundin, die sich so oft meldet. "Du bist wieder da? Seit wann?"

Vielleicht sollte ich lieber mal aufhören, bei allen, die ich wieder sehe und mit denen ich mich früher gut verstanden habe, so auszurasten wenn ich ihnen hier begegne. Bei Olive dauert es jedenfalls etwas länger als bei Blane, bis sie erkennt wer ich bin, aber als sie dann mit einem "Joyce?" antwortet, nicke ich begeistert. Übel nehme ich es ihr nicht, dass sie mich erst etwas irritiert angesehen hat, ehe sie mich erkannt hat, schließlich habe ich grade auch überlegt ob sie es wirklich ist, außerdem hat sie bestimmt nicht damit gerechnet, mich jemals wieder in Newcastle anzutreffen. "Seit gestern.", beantworte ich ihr die Frage, seit wann ich wieder hier bin: "Ich hab jetzt Urlaub und da dachte ich mir, ich schau mal bei euch vorbei." Mein Blick wandert zu dem Oberteil, was sie in der Hand hält und über welches sie sich eben noch mit der Verkäuferin unterhalten hat. "Wenn du willst und fertig mit shoppen bist, können wir uns ja irgendwo hinsetzten?

Sie dachte sich, dass sie mal bei uns vorbeischaut. Bei uns? Zum einen bin ich nur eine Person und zum anderen hat sie nicht bei mir vorbeigeschaut. Nein, ein zufälliges Treffen in einer Boutique. Wann hat sie bitte vorgehabt sich bei mir zu melden? Damals ist sie so gut wie meine beste Freundin gewesen, war dann einfach weg und meldet sich jetzt nicht mal sofort bei mir, dass sie wieder da ist? Außerdem wüsste ich gerne, wen sie mit uns meint. "Du warst aber nicht bei mir", meine ich kühl, um mir nicht sofort anmerken lassen, dass sie mich durch diesen kurzen Satz irgendwie ziemlich verletzt hat. Aber hey, Joyce ist erst seit gestern wieder da, vielleicht war es ihr Plan, mich gleich heute zu besuchen? Um jetzt nicht auch noch miese Laune zu bekommen, nachtragend zu werden und unser Wiedersehen nicht zu zerstören, gehe ich jetzt einfach mal davon aus. Angepisst sein kann ich später ja auch noch.
"Wenn du willst und fertig mit shoppen bist, können wir uns ja irgendwo hinsetzten? - "Oh, ich bin gerade fertig. Hier werde ich sicher nichts mehr kaufen", antworte ich mit einem genervten Blick und schaue nochmal kurz zu dieser absolut unverschämten Verkäuferin rüber, die sich mittlerweile schon wieder etwas entfernt hat. Ich werfe einen Blick auf die vielen Einkaufstüten, die Joyce in ihren Händen hält, und grinse sie an. "Sieht so aus, als hättest du auch schon ordentlich abgeräumt. - Also von mir aus können wir los." Ich lächle meine damalige Freundin an und umarme sie erneut. "Wehe du meldest dich das nächste Mal nicht sofort bei mir!"

"Du warst aber nicht bei mir" Olives plötzlicher, kühler Tonfall verwundert mich ein wenig. "....Nein, war ich nicht." Gut erkannt, Sherlock. "Jedenfalls noch nicht." Natürlich wäre ich früher oder später bei Olive aufgekreuzt, nur wusste ich nicht, ob sie noch bei ihren Eltern wohnt oder eine eigene Wohnung hat oder sonst was und ich hatte noch keine Lust gehabt, Blane über den Verbleib meiner alten Freunde zu fragen. Wo wir schon beim Thema Blane sind... soll ich Olive sagen, dass ich zuerst bei Blane war? Besser nicht, irgendwie scheint sie ein wenig sauer darüber zu sein, dass wir uns hier getroffen haben und nicht bei ihr zu Hause. Aber hey, Läden sind voll toll zum Treffen. Man ist umgeben von Klamotten, bestes Gefühl ever. Außerdem hat man so immer etwas, worüber man reden kann, selbst wenn es ein 'Oh Gott ist der Rock hässlich' ist.
Olives Kommentar, dass sie hier nichts mehr kaufen wird und dem Blick, den sie der Verkäuferin zuwirft, entnehme ich, dass Olive diese nicht wirklich mag. Keine Ahnung woher das kommt und ob es auf Gegenseitigkeit beruht, aber bevor ich sie fragen kann, spricht Olive mich auf meine Einkaufstüten-Sammlung an. "Man kann nie genug Klamotten haben.", grinse ich. Kann man wirklich nicht. Ich erwidere Olives Umarmung und ein Lächeln legt sich auf meine Lippen: "Nächstes Mal sag ich dir sofort bescheid." Vorausgesetzt es gibt ein nächstes Mal. Vielleicht will ich ja gar nicht wieder kommen. Oooder ich fahre gar nicht erst. Mal sehn. "Okay, wo gehen wir hin?" Besser Olive entscheidet das, so genau weiß ich nämlich nicht mehr, was man wo essen kann.

"Man kann nie genug Klamotten haben." - "Ohja, da hast du so Recht!" Komisch, wie schnell mir eine einzige Verkäuferin trotzdem den Spaß am Shoppen nehmen kann. Zumindest kurzfristig, lange hält diese Unlust sicher nicht an. Aber ich meine M, hallo, gehts noch?
"Nächstes Mal sag ich dir sofort bescheid." Richtige Entscheidung. "Das will ich auch hoffen", entgegne ich und schenke ihr kurz einen verachtenden Blick um meine Aussage zu unterstreichen. Sofort darauf grinse ich meine Sandkastenfreundin auch schon wieder an. Der anfängliche Ärger über ihre plötzlich Rückkehr lässt von Sekunde zu Sekunde weiter nach. Ich habe sie ja schon irgendwie ziemlich vermisst. "Okay, wo gehen wir hin?" - "Oh, hier im Obergeschoss hat ein neues, kleines Café eröffnet", schlage ich lächelnd vor. Praktisch, dass es in großen Einkaufszentren immer alles gab und man nie wirklich weit laufen muss. "Die haben da super leckere Frappés!", sage ich noch kurz begeistert und drehe mich schon in Richtung Ausgang um. "Oder willst du irgendwo anders hin? Irgendwo, wo wir früher waren?" Ein paar der Cafés haben tatsächlich noch geöffnet.

Natürlich hab ich Recht. Klamotten sind Rudeltiere, die fühlen sich einsam, wenn sie alleine sind. Und ich will ja nicht, dass meine Klamotten sich einsam fühlen. Okay, das klingt doch was krank. Vergessen wir das lieber.
"Das will ich auch hoffen" Als Antwort auf ihren verachtenden Blick, strecke ich ihr bloß kurz die Zunge raus, ehe ich etwas kichere. Wie gut, dass ich Olive getroffen hab, sonst wüsste ich gar nicht, was ich nach dem Shoppen machen kann. Olive grinst ebenfalls, ehe sie von dem Café erzählt, was hier neu eröffnet hat. "Ohh, Frappés sind soo toll.", schwärme ich sofort und bin eigentlich sofort dazu bereit, in dieses Café zu gehen, als Olive mich fragt ob ich irgendwo hin will, wo wir früher waren. Ich denke kurz nach und versuche mich an die ganzen Orte zu erinnern, wo ich mit ihr früher gewesen war. "Hmm... gibt es dieses Café noch, wo wir uns mal diese leckeren Donuts geklaut haben?" Bei der Erinnerung daran, musste ich schon wieder etwas lachen.

"Hmm... gibt es dieses Café noch, wo wir uns mal diese leckeren Donuts geklaut haben?" Geklaut? Das muss schon verdammt lange her sein, denn irgendwie kann ich mich überhaupt nicht mehr daran erinnern. Klar, Joyce ist ja auch lange weg gewesen und ich habe mein Leben weitergelebt, ohne zurück zu sehen. Ansonsten hätte ich die Freundin zu sehr vermisst. Da Joyce sich jedoch noch so gut daran erinnern kann, dass sie bei der Erinnerung etwas anfängt zu lachen, habe ich schon ein minimal ein schlechte Gewissen, dass ich halt gar nichts mehr weiß. Trotzdem lache ich mit. Einfach mitzulachen habe ich in meinem Leben ja schließlich wirklich gut gelernt. "Nein, ich glaube nicht", beginne ich dann mit einem leichten Schmunzeln zu sprechen, "soweit ich weiß, hat der Laden schon vor ein paar Jahren dicht gemacht." Oh man, das ist sowas von gelogen. Ich habe keine Ahnung. Woher auch? Schließlich weiß ich gar nicht, über welches Café sie überhaupt spricht. "Also gehen wir Frappés trinken?" Bitte sag einfach ja.

An den Tag, an dem wir die Donuts geklaut haben, erinnere ich mich fast noch als wäre es gestern gewesen, obwohl es bestimmt schon 10 Jahre her ist. Wahrscheinlich erinnere ich mich auch nur deswegen noch so gut, weil ich nach dieser Aktion ein schrecklich schlechtes Gewissen gehabt hatte. Deshalb ist es auch das erste und voraussichtlich letzte Mal gewesen, dass ich irgendwo irgendwas geklaut habe.
Leider scheint es das Café nicht mehr zu geben, denn Olive meint, es hätte bereits vor einigen Jahren dicht gemacht. Schade eigentlich, aber gut, wir können ohnehin nichts dran ändern. Dann gehen wir eben doch Frappés trinken. Ich folge Olive zum Café und wir setzten uns an einen der freien Tische. Man sieht, dass das Café neu eröffnet hat, denn sowohl die Tische und Stühle als auch die Speisekarten sehen relativ unbenutzt aus.
Nachdem ich und Olive unsere Bestellung aufgegeben haben, wende ich mich gespannt meiner Freundin zu: "Okay, jetzt erzähl mir.. was hab ich verpasst?" Okaaay, das kann lange dauern. In 6 Jahren ist bestimmt eine ganze Menge passiert.

Ich bin erleichtert, dass Joyce jetzt nicht nach anderen Café gefragt hat, in denen wir damals unsere Zeit verbracht haben. Denn im Grunde genommen, erinnere ich mich an kaum einen der Orte zurück. Traurig eigentlich.
Aber gut, jetzt gehen wir also zu dem neuen Café, was sich direkt hier in der Mall befindet. Dann müssen wir auch nicht so weit laufen, also eh viel besser. Nachdem wir uns gesetzt haben, kommt wahnsinnig schnell eine Kellnerin zu uns, die unsere Bestellung aufnimmt. "Okay, jetzt erzähl mir.. was hab ich verpasst?" Meine Lippen verziehen sich zu einem schiefen Lächeln. "Naja, was willst du wissen? 6 Jahre sind eine zu lange Zeit, um das alles schnell zusammenzufassen", sage ich dann und habe schon wieder ein schlechtes Gewissen. Sie klingt so fröhlich, begeistert und interessiert und mir fällt einfach kaum etwas ein. Was soll ich erzählen? Dass ich wider erwarten einen bombastischen Schulabschluss hingelegt habe, zu viel Alkohol getrunken habe, mein erstes Mal mit Blane hatte, wobei ja sonst keiner weiß, dass es mein erstes Mal war, und ich zurzeit nichts tue, weil ich es nicht nötig halte, zu arbeiten? Oder soll ich über die ganzen armen Mädchen berichten, die ich in der Schule gnadenlos ausgenutzt habe? Etwas wirklich spannendes und interessantes ist nun wirklich nicht passiert. "Erzähl mir lieber, was du so getrieben hast. Wo warst du die ganze Zeit, was hast du gemacht und wieso bist du wieder da?", frage ich jetzt mit derselben Begeisterung in der Stimme, die auch Joyce eben bei ihrer Frage hatte.

Da das Café sofort in dem Shopping Center ist, brauchen wir keine Minute, um dort hin zu gelangen und da die Kellnerin auch wahnsinnig schnell kommt, haben wir schon nach kurzer Zeit unsere Bestellungen aufgegeben. Gespannt warte ich auf eine Antwort von meiner Freundin, da es mich brennend interessiert, was hier die letzten Jahre so los war. Allerdings scheint Olive nicht wirklich zu wissen, was sie mir erzählen könnte und bevor ich ihr etwas vorschlagen kann, meint sie ich soll anfangen. "Hmm, okay. Also ich bin zu meinem Onkel und meiner Tante nach Warwick gezogen, das müsstest du ja noch mitbekommen haben." Immerhin war das noch die Zeit gewesen, in der ich Olive noch alles erzählt habe und an den Autounfall meiner Eltern und das ganze Drama mit dem Rest der Familie musste sie ja eigentlich mitbekommen haben. "Da bin ich irgendwann weiter in die High School gegangen und hab jetzt letztens meinen Abschluss gemacht. Und deswegen meinten mein Onkel und meine Tante, ich sollte etwas in Urlaub fahren um mich zu entspannen, also bin ich hier her gekommen." So, grobe Kurzfassung der letzten Jahre hinter mich gebracht.

"...das müsstest du ja noch mitbekommen haben." Ich nicke kurz. Natürlich erinnere ich mich noch. Wenn die Eltern von einer meiner besten Freundinnen ums Leben kommen und sie deshalb zu anderen Verwandten wegziehen musste, vergisst man das nicht ganz so schnell wie das Diebstahl ein paar Donuts. In einer kurzen Zusammenfassung erzählt Joyce mir darauf was in den letzten 6 Jahren passiert ist. Und das ist offenbar nicht besonders viel gewesen. "Das wars? Du bist einfach nur zur High School gegangen und das wars? Ernsthaft?" Für einen kleinen Augeblick sehe ich sie schockiert an, grinse daraufhin aber schnell wieder und spreche weiter: "Wie siehts mit Partys aus? Wie waren die Jungs dort so? Ich will alles wissen!" Neugierig sehe ich die Brünette an und rufe mir dann nochmal ihre letzten Satz ins Gedächtnis. In den Urlaub fahren um sich zu entspannen... "Mooooooomeeent! Du bist nur zum Urlaub machen hier? Das heißt, du verschwindest in ein paar Tagen einfach wieder?" Ungläubig schüttele ich den Kopf. "Wenn es an der Wohnung scheitert, du kannst natürlich bei mir einziehen, bis du was eigenes findet. Oder du bleibt bei mir wohnen. Du kennst meine Eltern, die sagen da nichts zu", plappere ich schnell darauf los. Verlustängste sind schon eine böse Sache und ich fand es damals schon schrecklich, als Joyce einfach wegzog.

Natürlich weiß Olive, dass ich zu meinem Onkel und meiner Tante gefahren bin, das war nämlich das letzte, was ich ihr erzählt hatte, bevor ich weg gefahren bin. Wenn sie das vergessen hätte, wäre es echt mies von ihr gewesen, aber da sie es noch weiß, kann ich ja einfach mit meiner Zusammenfassung anfangen. Mit meiner sehr kurzen Zusammenfassung wohlgemerkt. Kaum habe ich geendet, schaut Olive mich geschockt an und fragt, ob das wirklich alles ist, woraufhin ich lachend den Kopf schüttel. "Nein, aber wenn ich alles erzähle sitzen wir ja morgen noch hier." Oder noch nächste Woche, je nach dem wie detailliert ich alles erzähle. "Wie siehts mit Partys aus? Wie waren die Jungs dort so? Ich will alles wissen!" - "Okay also.. zugegeben war ich nicht auf soo vielen Partys.." Denn Partys waren nicht mein Ding, zumindest nicht die, wo es nur darum ging sich zu betrinken: "...aber die auf denen ich war, waren richtig cool. Und was die Jungen betrifft.. Du kannst dir nicht vorstellen wie hübsch einige von denen waren. Aber die meisten waren ziemliche Arschlöcher und haben ein Mädchen nach dem anderen verarscht." Sicherlich gab es in Newcastle Jungen, die genauso waren und Olive wusste genau was ich meinte. Bevor ich weiter erzählen konnte, kam sie darauf zurück, dass ich nur Urlaub hier machte und sagte sofort, ich könnte bei ihr wohnen, wenn es an der Wohnung lag, dass ich irgendwann wieder nach Warwick fahren würde. "Nein, keine Sorge, an der Wohnung liegt es nicht. Ich bin momentan bei Blane und ich denk mal der wird mich nicht sofort rausschmeißen wollen, aber.. keine Ahnung. Dann müsste ich nach 'nem Job hier gucken und ja. Aber mal sehen, vielleicht bleibe ich auch."

Ich hätte kein Problem damit, wenn wir noch bis morgen hier sitzen würden, weil sie so viel zu erzählen hat. Dann könnten wir später in eine nette Bar umziehen und ein paar Drinks trinken, sozusagen das Wiedersehen feiern. Netter Plan, oder nicht?
Als Joyce erzählt, dass sie nicht besonders viele Party besucht hat, kann ich es nicht verhindern, sie schockiert anzusehen. Ernsthaft? Wir sollten so viel wie möglich feiern, solange wir noch jung und schön sind. Da hilft es auch nicht, dass sie erwähnt, dass die wenigen Partys, auf denen sie war, doch recht gut waren. Wieso zur Hölle war sie dann nicht auch ständig feiern gewesen? Da müssen wir hier definitiv ziemlich viel nachholen! "...Aber die meisten waren ziemliche Arschlöcher und haben ein Mädchen nach dem anderen verarscht." Ja, so ist es leider meistens mit den schönen Männern. "Entweder schwul, vergeben oder das absolute Arschloch", sage ich beinahe frustriert und verziehe meine Lippen zu einem Schmollmund. "Wobei Arschlöcher manchmal ja auch echt anziehend sein können", füge ich dann mit einem breiten Grinsen hinzu.
"...Ich bin momentan bei Blane..." ist das einzige, was ich von ihrem Gesagten wirklich mitbekomme. Kurz sehe ich sie entsetzte an. "Du bist bei Blane?", frage ich mit wenig Begeisterung. Wieso ist sie bei Blane? Wieso meldet sie sich zuerst bei ihm und nicht bei mir? Wieso sagt Blane mir nicht Bescheid, dass Joyce zurück ist? Wieso wohnt sie gerade bei ihm? Für einen kleinen Augenblick spüre ich in meiner Brust einen eifersüchtigen Stich, den ich überhaupt nicht deuten kann. Wo bleiben überhaupt unsere Frappés?

Als ich Olives schockierten Blick sehe, muss ich erstmal lachen. "Warum guckst du so?" Sie sah gerade so aus, als wäre es total unnormal, dass ich nicht alle zwei Tage auf irgendeiner Party bin. "Nur um dich noch mehr zu schockieren: Ich habe noch nie Alkohol getrunken und noch nie irgendwelche Drogen genommen.", füge ich dann grinsend hinzu. Wahrscheinlich habe ich ihre Welt jetzt komplett zerstört und sie will nie wieder irgendwas mit mir zu tun haben. Okay, nein, das wäre dann doch was krass. Aber mit der Aussage, dass Arschlöcher auch echt anziehend sein können, hat sie definitiv Recht, weshalb ich nicke. "Wem sagst du das? Ich hab die letzten 6 Monate damit verbracht, mit einem zusammen zu sein." Theoretisch hätte ich jetzt noch irgendetwas wie 'Größter Fehler meines Lebens' hinzu fügen können, wie es viele Mädchen machen, die über ihren Exfreund reden, aber irgendwo wäre das ja gelogen, immerhin habe ich die Zeit mit ihm auch irgendwie genossen.
Den nächsten entsetzten Blick ernte ich von Olive, als ich ihr sage, dass ich momentan bei Blane schlafe. Hätte ich das vielleicht doch besser nicht erwähnen sollen? Sie hätte es ohnehin irgendwann mitbekommen, also je früher desto besser. "Ja, ich bin momentan bei Blane. Ist das.. ein Problem?", frage ich ein wenig zögernd und unsicher, rede allerdings schon weiter, bevor sie antworten kann: "Hör zu, wenn du jetzt irgendwie sauer bist, weil ich zuerst bei Blane war und nicht bei dir, kann ich das verstehen. Aber das heißt nicht, dass ich ihn dir vorziehe oder sonst was." Tat es wirklich nicht. Ich war einfach zuerst bei Blane gewesen, weil... es einfach Blane war.

Jetzt fällt mir wirklich alles aus dem Gesicht und ich starre sie weiter schockiert an. Okay, das kann eigentlich nur ein Scherz sein, weshalb ich nun laut anfange zu lachen. "Als ob du wirklich noch nie Alkohol getrunken hättest", sage ich dann noch immer lachend. Das kann einfach gar nicht sein. "Oder bist du anstatt zu deinen Verwandten in ein Kloster gegangen?" Mit einem breiten Grinsen sehe ich meine Freundin an.
"Wem sagst du das? Ich hab die letzten 6 Monate damit verbracht, mit einem zusammen zu sein." Und das würde niemand ohne Alkohol aushalten, ganz sicher nicht, ich zumindest nicht. Ich nicke das Gesagte nur kurz ab, schließlich habe ich keine Lust, mir jetzt eine ellenlange Story darüber anzuhören, wie scheiße ihr Exfreund doch war.
"Ist das.. ein Problem?" Neeein, nein, nein, nein. Das stört mich nicht im Geringsten. Gut, dass sie sofort weiterspricht und ich gar nicht zum Antworten komme. "Hör zu, wenn du jetzt irgendwie sauer bist, weil ich zuerst bei Blane war und nicht bei dir, kann ich das verstehen. Aber das heißt nicht, dass ich ihn dir vorziehe oder sonst was." Genau! Das muss das Problem sein. "Wieso bist du dann nicht einfach zu mir gekommen? Oder hast jedenfalls angerufen? Nichtmal Blane hat mir eine Nachricht zukommen lassen." Ich seufze kurz und endlich werden uns die Frappés serviert. Vor mir steht nun ein prächtiger 0,5 Liter Schokofrappé, der schon so köstlich aussieht, dass ich sofort einen großen Schluck durch den Strohhalm trinken muss. "Wann wolltest du dich eigentlich bei mir melden?"

"Als ob du wirklich noch nie Alkohol getrunken hättest" Okay, jetzt sieht Olive mich wirklich an, als wäre ich geisteskrank. "Glaub mir, ich habe wirklich noch nie einen Tropfen Alkohol getrunken." Und eigentlich hatte ich auch gar nicht das Bedürfnis danach. Ich verstand ohnehin nicht, warum so viele Leute es toll fanden, Alkohol zu trinken. Die Frage von Olive, ob ich anstatt zu meinen Verwandten zu fahren ins Kloster gegangen bin, bringt mich dazu zu lachen: "Klar, Kloster ist voll mein Ding." Nicht. "Aber nein, an meinen Verwandten liegts auch nicht. Theoretisch dürfte ich trinken, seit ich 16 bin." Was auch schon wieder ein paar Jahre her ist und ich habe noch nie den Drang danach verspürt etwas zu trinken. Ich sollte stolz auf mich sein.
Auf die Frage, warum ich nicht zuerst bei ihr vorbeigeschaut habe, will ich eigentlich gar nicht antworten. Ich kann ja schlecht sagen 'Irgendwie wollte ich Blane zuerst sehen', denn dann hätte ich wirklich ein schlechtes Gewissen. "Ich weiß nicht, eigentlich hat das gar keinen wirklichen Grund, ich bin einfach zu ihm gegangen." Okay, nein, ich hatte geplant zu ihm zu gehen. Egal. Bevor ich auf ihre Frage antworte, wann ich vorhatte mich bei ihr zu melden, nehme ich erst einmal einen großen Schluck meines Frappés. "Ehm eigentlich in den nächsten Tagen." Eigentlich. Hust. "Tut mir echt Leid, dass ich mich nicht früher gemeldet hab. Ich bin mir sicher es nehmen mir schon tausend andere Personen übel also bitte, sei nicht sauer, ja?"

Ungläubig sehe ich Joyce an während sie mir davon berichtet, dass sie wirklich noch nie Alkohol getrunken hat. Nicht mal einen Tropfen. Und es hat auch nicht daran gelegen, dass ihre Verwandten es ihr verboten haben, was nämlich nicht der Fall war. Was ist nur los mit ihr? Kurz schüttele ich mit dem Kopf und sehe sie mitleidig an. "Das müssen wir definitiv ändern."
"...Ich bin mir sicher es nehmen mir schon tausend andere Personen übel also bitte, sei nicht sauer, ja?" Wenn sie zuerst zu Blane will, kann ich wahrscheinlich ziemlich gut leben, aber dieser Spruch war jetzt irgendwie... gemein. "Du hast mich jetzt nicht zu einer von tausend anderen Personen gezählt, oder?" Autsch. Ich ziehe einen Schmollmund. "Also das habe ich wirklich nicht verdient." Grinsend trinke ich einen Schluck von meinem Frappé.

"Das müssen wir definitiv ändern." Oder auch nicht. "Müssen wir das?", frage ich und grinse etwas: "Du wirst es kaum glauben, aber so dringend möchte ich echt kein Alkohol trinken." Für Olive vermutlich unvorstellbar. Ihre Welt wird zusammenbrechen. Haha, nein. Aber ernsthaft, warum finden alle Menschen - abgesehen von mir - Alkohol so toll? Vielleicht sollte ich doch mal trinken, alleine um herauszufinden, warum andere es so gerne machen.
Da ich nicht wirklich auf meine Wortwahl geachtet habe, fällt mir nicht auf, wie das, was ich gesagt habe klingt und als Olive mich schmollend fragt, ob ich sie wirklich zu einer von tausend anderen Personen gezählt habe, schüttele ich schnell den Kopf: "Nein, so meinte ich das nicht." Allerdings bringt mich ihr Schmollmund und die Aussage, dass sie das nicht verdient hat, ziemlich schnell zum Lachen. "Natürlich hast du das nicht, es tut mir sooo Leid soetwas gesagt zu haben." Grinsend nehme ich einen Schluck von meinem Getränk, ehe ich mich wieder Olive zuwenden: "Wir müssen in den nächsten Tagen unbedingt was zusammen unternehmen. Hast du ne Idee?"